Es war ein kalter, windiger Sonntag im Februar. Gerade richtig, um wieder einmal ins Museum zu gehen. Die Wahl fiel auf die Albertina. Die aktuelle Ausstellung warb mit Monet bis Picasso und außerdem - und das gab für mich letztlich den Ausschlag - mit Max Weiler, einem meiner heimischen Lieblingsmaler neben Kurt Kocherscheidt, der leider viel zu früh verstorben ist. Eigentlich rechnete ich mit einer langen Besucherschlange, aber wider Erwarten war kaum etwas los an diesem Nachmittag. Ich lud einen Bekannten ein, mich zu begleiten. Er war das erste Mal im Museum und die Neugier spannte sich um seine müden Augen. Offenbar hatte er am Vorabend zu wenig Schlaf abbekommen, aber der Museumsbesuch ist ja glücklicherweise kein Mountainbike-Ausflug. Da darf man schon mal unkonzentriert sein und läuft nicht Gefahr, gleich abzustürzen oder die falsche Abzweigung zu erwischen. Wir beide waren also drauf und dran - ausgestattet mit Audioguides - die Ausstellungsräumlichkeiten zu betreten, zweigten aber noch schnell ab in die Prunkräume, die im Grunde sich selbst zur Schau stellten. Jeder Raum ist in strahlende Farben getaucht und in einem dieser Räume zeichnete sich das Dilemma dieses Besuches auch schon ab. Ein Fotograf, ich vermute ein Profi, schwang eine große Kamera gekonnt im Raum und dirigierte eine Schönheit in Weiß zur richtigen Pose. Daneben, etwas gelangweilt und in sein Handy vertieft, der Bräutigam. Ein Feschak, wie man früher sagte, geschniegelt und ausstaffiert, aber für die Kamera offenbar nicht genug. Ich fragte mich, ob das Paar ein Original-Hochzeitspaar sei, zu künstlich und Magazinhaft erschien mir ihr Auftritt, die Hektik des Fotografen tat das Übrige. Kein Zauber von frischer Verliebtheit umwehte die Szenerie, eher geschäftiges Beauty-Business. Kaum hatte ich mich in den Gedanken vertieft, wie unpassend es mir schien, dass die Linse auf die Braut fokussierte und nicht auf die Schätze, die ihr den nötigen herrschaftlichen Rahmen bot, um sie noch schöner, noch einflussreicher erscheinen zu lassen, da wurde ich schon von meinem Begleiter aufgefordert, ihn doch vor einem Prunkspiegel abzulichten, und dann noch vor einer in Marmor gehauene Muse. Ich gab mein Bestes vor allem weil ich dem ersten Museumsbesuch nicht gleich das Lustvolle nehmen wollte. Die von mir geschossenen Fotos wurden sofort inspiziert und Gesichts- und Körperausdruck kritisch beäugt. Alles gut. Also ging es weiter in die "richtigen" Ausstellungsräume mit Monets und Picassos. Die erste Bank im ersten Ausstellungsraum, den wir betraten, wurde für meinen Begleiter der erste Stolperstein, will heißen Ruhepol. Er war doch ziemlich müde, der Arme. Ich verabschiedete mich kurzfristig in einen kleinen Rundgang. Die Exponate waren interessant und bunt gemischt und ich blieb vor dem Einen oder Anderen stehen, um es wirken zu lassen. Sie fiel mir nicht gleich auf, aber einmal auf sie aufmerksam gemacht, konnte ich sie nicht mehr ignorieren. Sie trug ein braun-beiges Rock-Pullover-Ensemble mit ebensolchen Stiefeln, konservativ und hausbacken, ihr Alter schätzte ich zwischen 50 und 60. Ihr Begleiter zog es vor, in sicherem Abstand zu ihr zu bleiben. Nur ab und zu riskierte er einen Blick, wie weit sie war. Denn es schien, als hätte diese Dame eine Mission, eine Aufgabe von höchster Bedeutung und jedes Abweichen oder Straucheln von dieser Mission könnte unabsehbare Folgen haben. Wie eine Maschine, ja wie ein moderner Museumsroboter bahnte sie sich unbeirrt ihren Weg entlang der Exponate. Dabei erschien ihr Schritt wie das abmessende Abschreiten eines Kartoffelfeldes - von einem Bild zum nächsten. Kurzer Stopp - Handy in Position gebracht - Gemälde fotografiert und mit kleinem Sidestep - Foto vom Begleittext - im Stechschritt zum nächsten Bild ... und Text ... und Bild ... und Text ... und so weiter und so fort - ohne Ausnahme, ohne Auswahl und ohne einen Blick darauf zu verschwenden, was da fotografiert wurde. Original - paperlapapp - da seh ich mir doch viel lieber die Fotos in Ruhe im Hotelzimmer an oder sonstwo - oder vielleicht doch nicht, vielleicht nie, wahrscheinlich niemals - denn Zeit ist ein Vogerl und Vögel sind zwar lieb aber schwer zu fassen. Mit diesen Gedanken komme ich an bei Chagall und möchte gerade in das Blau versinken, als ein stämmiger Mittsechziger heranschnauft, etwas von Chgll murmelt, seine Handykamera aufzielt und so schnell mit dem Abbild des Originals verschwunden ist, wie er gekommen war. Eine inkontinente Taube im Flug hinterlässt sicher mehr Eindruck bei ihm als Marc Chagall und seine zauberhafte "Schläferin mit Blumen".
Ausgestattet mit diesen Eindrücken kehre ich zurück zu meinem Begleiter auf der Bank, der unberührt von meinen Erlebnissen gelassen den Blick schweifen lässt. Ich schnappe ihn mir, denn jetzt muss es sich auch für ihn lohnen, hierher gekommen zu sein und wir wandern durch die Räume in anderer Richtung. Und ehe ich mich versehe, bin ich schon aufgefordert, meinen Begleiter vor Paul Delvaux' "Landschaft mit Laternen" abzulichten, zwei, drei Fotos reichen dann endlich, um die Selbstvergewisserung "ich war hier" abzusichern mit einem "und ich sah gut aus". Danach war der Damm gebrochen und ich schoss noch Fotos vor Picassos "Mittelmeerlandschaft" und vor Alex Katz' "Black Hat 2". Dann wars aber auch wieder genug - ich ließ mein Fotomodel wieder auf einer Bank ausruhen und landete endlich im Raum von Max Weiler. Zu meinem Glück fanden sich keine Klickwütigen, keine "Neben-mir-sieht-Klimt-alt-aus"-Selfinados und -das. Einfach nur Papier und Farbe und Welt. Original Weiler eben.
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Gina (Dienstag, 20 Februar 2018 15:06)
Liebe Renate, danke für diesen Text, möchte das nächste Mal dabei sein wenn du wieder in eine Ausstellung gehst. Ich fotografiere zwar eventuell auch einige Bilder aber es wird keines von mir geben. Alles Liebe
Gina
Narziss (Dienstag, 20 Februar 2018 17:30)
Liebe Renate, ich denke das nächste Mal solltest Du den Begleiter tauschen - der erscheint mir doch etwas selbstverliebt :-)